Mittwoch, 19. April 2017

Die multimediale Preisträgerin – Fünf Fragen an Katharina Thoms

von Christine Olderdissen


Der Journalistinnenbund feiert sein 30jähriges Jubiläum, vom 30. Juni bis 2. Juli 2017 am Gründungsort Frankfurt. Bis dahin stellt der Watch-Salon mit der Interviewserie "Fünf Fragen" in lockerer Folge ganz unterschiedliche Kolleginnen des jb vor, um die Vielfalt unseres Bündnisses und der jeweiligen journalistischen Arbeit zu zeigen. 

"Journalistin des Jahres - Top 3 regional": Katharina Thoms hat Erfolg beim SWR. / Foto: Karl Stefan Röser


Als ich Katharina Thoms im SWR-Regionalstudio Tübingen ans Telefon bekomme, hat sie diesen schwäbischen Singsang drauf, den sich die „Neigschmeckten“ zulegen. Ich bin selbst sieben Jahre im Schwabenland aufgewachsen und kenne die Neigung, sich dem Sound der unnachahmlichen Mundart anzupassen. Nach dem Abi war mein Ziel Berlin. Katharina Thoms, 37, geboren und aufgewachsen in Oranienburg bei Berlin, ist den umgekehrten Weg gegangen. Sicher eine kluge Entscheidung, denn hier treten sich die Medienleute auf die Füße. Katharina Thoms aber hat nach Politik- und Geschichtsstudium und einem trimedialen Volontariat beim SWR ein weites Betätigungsfeld gefunden, als Reporterin für Hörfunk , Online und Fernsehen zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb.



Das Thema „Erstaufnahmestelle Meßstetten“ ist dir bei der Arbeit für das SWR-Regionalstudio Tübingen vor die Füße gefallen. Du hast daraus eine preisgekrönte Webdoku gemacht. Ein journalistisches Meisterstück in vielerlei Hinsicht.


Im Sommer 2014 hieß es, da kommt eine Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in diesen kleinen Ort Meßstetten auf der Schwäbischen Alb. Das war die erste Kleinstadt, wo man so etwas gemacht hat, 5000 Einwohner und 1000 Flüchtlinge in einer Ex-Kaserne. Ich war mit meiner Kollegin Sandra Müller bei der ersten Bürgerversammlung, um für Radio und Fernsehen aktuell zu berichten. Die Nazis, die Rechten hatten sich angekündigt, es gab mega viel Polizei. Dann war da so ein Magic Moment, wo sich die Stimmung total gedreht hat und die Leute in der Versammlung aufgestanden sind und gesagt haben, ist doch klar, dass wir da helfen müssen. Auch die Ministerin war total geflasht, dass alles so positiv war.

Bei der Rückfahrt im Auto haben Sandra und ich überlegt, das wäre interessant, wenn wir diese Unterkunft, die auf zwei Jahre angelegt war, begleiten würden. Wie kriegen die das da in Meßstetten hin, bleibt die Stimmung so oder ändert sich das? Wie ist es, wenn es Probleme gibt?

Wir hatten uns schon länger für die neuen Storytellingformate im Internet interessiert. Damals gab es vom Guardian ziemlich coole Beispiele. Und das Pageflow war im SWR gerade seit drei Monaten ausgerollt. So wollten wir die Meßstetten-Geschichte auch erzählen, unser Konzept wurde bewilligt und wir durften uns ausprobieren. Das war dann viel learning by doing, wir zwei haben das fast alles alleine gemacht. Unsere Idee war, nicht mit Fernsehbildern zu arbeiten, sondern ruhig zu erzählen, mit langen Einstellungen - Foto, Ton und Atmo - und dadurch Radio auf eine neue Stufe zu heben, mit einer visuellen Ebene dazu. Die Leute waren dann oft sehr begeistert, eben wegen der zurückgenommenen Form, die Menschen selbst sprechen zu lassen. Nicht so hektisch, wie in der aktuellen Berichterstattung, sondern ruhig. Auch Leute aus Meßstetten haben gesagt, dass sie das alles als richtig dargestellt empfinden.


So eine ambitionierte Langzeitreportage ist nicht gerade selbstverständlich für ein Regionalstudio. Wie habt ihr das organisiert, neben der normalen Arbeit?


Wir sind feste Freie und haben das um unsere normalen Dienste wie Nachrichten und Moderation herum organisiert. Wenn etwas anstand, sind wir hingefahren, meist an einem Tag in der Woche. Dann haben wir unsere vier Protagonisten und Protagonistinnen getroffen und viele Gespräche mit den Leuten in der Stadt geführt. Immer wenn es eine neue Folge gab, so alle drei Monate, haben wir das im Radio begleitet, mit Kollegen gesprochen, usw. 

2015, als dann so viele Flüchtlinge kamen, sind wir selbst als Expertinnen interviewt worden, zum Beispiel zur Frage, wie lebt es sich in einer Erstaufnahmestelle? Wir haben auch gelernt, wieviel Kraft in so einem Ort steckt. Die Leute konnten ganz gut abstrahieren, bei islamistischen Anschlägen wie zum Beispiel in Paris, da haben sie gesagt, das ist doch hier bei uns was anderes, wir denken nicht, dass sind hier jetzt alles Terroristen. Das war schon krass zu merken, wie wir alle als Journalisten so reflexhaft Fragestellungen entwickeln, die mit der Realität manchmal nicht so viel zu tun haben.


Der Preisregen kam prompt. Sandra Müller und du, ihr wurdet vom medium magazin zu den Top 3 Journalistinnen 2016 regional gewählt, die Webdoku bekam je einen Preis von Caritas und Diakonie, sie war nominiert für den Deutschen Radiopreis und für den Grimme Online Award. Wenn das nicht beflügelt.


Das ist schon irre gewesen, die letzten zwei Jahre. Dieser Respekt für die Arbeit, die Anerkennung. Wir haben beide wahnsinnig viel Zeit rein gesteckt, wir haben beide keine Kinder, das macht natürlich auch einen Unterschied. Wir haben uns immer gegenseitig so gepusht: „Jetzt sind wir gerade so im Flow, jetzt machen wir das noch.“ Ich hätte das auch nicht alleine machen wollen. Du brauchst  jemand zum Austausch, zum Reden, wir haben ja auch schlimme Geschichten gehört, etwa von den Fluchtwegen. Das musst du ja erstmal verarbeiten. Also Sandra und ich sind schon ein sehr gutes Team, und das war sicher nicht das letzte gemeinsame Projekt, auch wenn ich jetzt nach Stuttgart in die Redaktion Landespolitik wechsele.


Katharina Thoms


Multimediale Redakteurin beim SWR

Branche: Radio, Online, Fernsehen
Beruf: Reporterin und Moderatorin
Standort: Regionalgruppe Südwest
jb-Engagement: passiv, aber begeistert


Neue Erzählformate wie Scrollytelling* und Pageflow** – können sie den Journalismus retten?


Man muss halt voran denken. Es muss nichts bleiben, wie es war. Mir macht es Spaß, Neues auszuprobieren, inhaltlich wie auch technisch. Das ist ein Vorteil der trimedialen Ausbildung, diese Offenheit dafür. Aber wir als Journalistinnen und Journalisten müssen uns mehr Zeit lassen. Wir finden oft schon nach drei Monaten neue Formate wie Pageflow und Scrollytelling langweilig, nur weil es die ersten zehn Projekte dazu gab. Dabei kennt das Publikum das noch gar nicht. Die User müssen doch erstmal die Chance haben, diese neuen Formate zu entdecken.

So eine Webdoku wie unsere, das ist nichts, was Millionen erreicht. Die meisten Klicks hat natürlich die Startseite. Aber die Leute, die weiterklicken, die gucken sich dann alles an. Wir sind das erfolgreichste Projekt mit Pageflow, dass der SWR initiiert hat und ich wage mal zu behaupten, der Erfolg liegt auch daran, dass wir explizit für diese Webdoku produziert haben. Sie war keine Zweitverwendung zu aktueller Berichterstattung. Leider ist es oft so, dass aus Fernsehmaterial nebenbei ein Pageflow gemacht wird. Das funktioniert nicht, du brauchst für Pageflow andere Bilder.

Wir wollen ein Nachdenken anregen: Was können wir tun, um Radio im Netz erlebbar und teilbar zu machen. Sandra Müller, die sich schon sehr viele Gedanken zu „Radio für die  Augen“ gemacht hat, und ich, wir geben auch Kurse bei der ARD.ZDF Medienakademie dazu. Das Internet ist in erster Linie visuell. Eine kurze Audioslideshow zum Beispiel wirkt stark  und kann mit Video konkurrieren.


Du wohnst in Stuttgart und gehörst damit zur jb-Regionalgruppe Südwest. Wie trefft Ihr Euch in so einem ausgedehnten Gebiet?


Als es noch die Stuttgart-Tübingen-Gruppe gab, bin ich manchmal hingegangen. Seit der Fusion mit Baden-Elsass zu Südwest, verfolge ich den jb nur noch online, aber mit großem Interesse. Ich bin neben der Arbeit noch in der Initiative fair radio engagiert, das nimmt viel Zeit in Anspruch. Wir setzen uns für mehr Ethik und weniger Rumtrickserei im Hörfunk ein. Wir haben einen Blog und weisen auf Livefakes, Schleichwerbung und fragwürdige Gewinnspielaktionen hin. Ich bin auch immer beim jährlichen Radiomachertreffen in Tutzing dabei.

Was ist wirklich schätze und toll finde beim jb ist das Mentoring-Programm, auch wenn ich es selbst nicht genutzt habe. So etwas ist super wichtig. Ich hatte am Anfang viele Kolleginnen, bei denen ich mir Rat holen konnte. Ich versuche das selbst weiterzugeben, an Anfänger, auch wenn ich noch kein alter Hase bin:  wie man sich z.B. in Konferenzen verhält, da darf man sich nicht unterbuttern lassen. Eines habe ich mir aber fest vorgenommen: zum jb-Jubiläum in Frankfurt will ich unbedingt hinfahren, schon um die eine oder andere Kollegin wieder zu treffen.


Schön, dich im jb dabei zu haben, Katharina!

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Multimediales Erzählen im Netz:

 

* Scrollytelling

Wortspiel aus Storytelling und Scrollen: eine journalistische Geschichte wird multimedial erzählt. Mit Scrollen navigiert sich die/der Nutzer*in durch die lineare Handlung aus Text, Bild, Video und Grafik. Es gibt zahlreiche Online-Tools, um eine solche Webseite herzustellen.

** Pageflow

Das bekannteste Tool für multimediales Storytelling heißt Pageflow. Der WDR hat es zusammen mit der Kölner Firma Codewise entwickelt und stellt es kostenlos zur Verfügung. Mit seinen interaktiven Elementen soll es zu einer größeren, journalistischen Vielfalt im Netz beitragen.

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In dieser Serie erschien bereits:

The flying Journalist - Fünf Fragen an Christa Roth
Die vielgereiste Dozentin - Fünf Fragen an Cornelia Gerlach
Die flexible Vermittlerin - Fünf Fragen an Jasmin Lakatos
Die vielseitige Freie - Tina Srowig
Die forschende Blattmacherin - Fünf Fragen an Barbara Nazarewska
Die schreibende Psychologin - Fünf Fragen an Nele Langosch
Die Neue im Team - Fünf Fragen an Eva Hehemann
Die Gründerinnen des Medienlabors - Fünf Fragen an Helga Kirchner und Sibylle Plogstedt

Weitere interessante Kolleginnen im Journalistinnenbund finden sich in der Expertinnendatenbank.

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